Gitana und Gerd haben sich einen außergewöhnlichen Wohntraum erfüllt, mitten im Sulzbacher Wald. Tagsüber genießen sie die Blumen und (Wild-)Früchte aus dem eigenen Garten, nachts hören sie die Tiere des Waldes zwischen ihren Häusern umherschleichen. Lummerland ist ein Ort zum Schwelgen und Kreativsein, an dem man sich das ganze Jahr über wie im Urlaub fühlt..
Wenn man Gitana und Gerd besucht, ist alles ein bisschen anders als bei anderen Leuten. Zunächst einmal hält man nicht etwa Ausschau nach einem Haus, sondern nur nach einer kleinen Gartentür – denn mehr ist von der Straße aus nicht zu sehen vom Domizil der beiden. Dann muss man sich überlegen, ob man nun bei Gitana oder bei Gerd anklopft – das Ehepaar wohnt zwar auf einem gemeinsamen Grundstück, aber in zwei getrennten Häusern. Und hat man sich entschieden, muss man seine detektivischen Fähigkeiten aktivieren, um die Häuser zu finden. Denn beide sind nicht nur recht klein, ihre Wände sind auch noch hier mit Kletterpflanzen bewachsen, dort von gestapelten Holzscheiten oder von Strohmatten verdeckt. Kurz gesagt, in diesem üppig-wilden Garten, hinter Bäumen, Sträuchern, Stauden und mehr fallen sie nicht direkt ins Auge.
Schloss, Baracke und der Wald
Gitana und Gerd haben sich auf ihrem Grundstück ein kleines Paradies geschaffen – mitten im Sulzbacher Wald, rundherum gibt es nur Natur. Lummerland nennen sie es und das passt: Es ist ein Ort zum Träumen, Schwelgen und Gedanken freien Lauf lassen. Schmale Wege führen über das Grundstück, hindurch zwischen Garten-, Wiesen- und Waldarealen, vorbei an einem kleinen Teich. Am Wegesrand wachsen wilde Erdbeeren, hier und da andere Waldfrüchte. An einem Sommertag haben es sich die beiden mit Hündin Paula auf der Terrasse vor „La baraque“ bequem gemacht, das heißt bei Gerd. Weil Gitana ihr Haus „Le château“, das Schloss, nennt, hat Gerd seines scherzhaft „La baraque“, die Bretterbude, getauft. Es gibt Tee aus frischen Kräutern und Kekse. Ein bisschen wie Aussteiger wirken die beiden, entspannt und glücklich mit ihrem Leben mitten in der Natur. Sie quirlig und energiegeladen, er ein Fels in der Brandung. Und beide sind sie Menschen, die die Weite und Freiheit lieben. Raum, zum Kreativsein und sich Entfalten, gemeinsam, aber auch jeder für sich, das brauchen sie. Gerd erzählt, wie das Paar zu der außergewöhnlichen Wohnform gekommen ist: „Nach 15 Jahren Beziehung hatten wir uns entschlossen, zusammenzuziehen. Ganze sieben Jahre haben wir nach einem Wohnort gesucht, bis wir dann dieses Grundstück gefunden haben. Es ist ideal.“ Die Tür aufmachen und draußen sein, so wollten sie es schon immer.
In Le Château kann Gitana in Ruhe stundenlang Musik hören und sich dazu Choreografien ausdenken. Sie ist Pädagogin für Orientalischen Tanz, Trainerin für Fitness und Gesundheit und Diplom-Sozialarbeiterin. In La Baraque und drumherum kann Gerd, der eigentlich Fliesenleger und „Mann für alles“ ist, sich beim Malen und Gärtnern austoben. Und wenn Gitana für einen Workshop ihre Tanz-Frauen zu Gast hat, kann er für sie kochen – „ganz ungestört“.
Aber wie ist es so, mitten im Wald zu leben? „Sehr frei und sehr intensiv“, sagt Gitana. Frei, weil hier vieles geht, was anderswo nicht geht. Morgens im Bademantel mit dem Hund spazieren gehen zum Beispiel oder im Sommer nachts nur die Gartentore verriegeln und die Haustüren offenstehen lassen. Und intensiv, weil man die Natur hautnah spürt, ganz eng mit ihr verbunden ist. „Wenn etwa ein Sturm aufkommt, hört man das hier sehr viel früher als in einer Siedlung. Es rauscht über den Baumwimpfeln und wird immer lauter, wie ein heranrasender D-Zug.“ Die Kraft der Natur ist besonders präsent, so im Wechsel der Jahreszeiten und im steten Bestreben des Waldes, sich Lummerland wieder zurückzuerobern. Gerd ist stets damit beschäftigt, vordringende Bäume, Büsche und Sämlinge im Zaum zu halten. „Ich versuche, das soweit möglich im Einklang mit der Natur zu tun.“ Lummerland bedeutet nicht nur Idylle, sondern auch viel Arbeit. Auch der Garten mit Obst, Gemüse und zahlreichen Blumen will gepflegt werden.
Rehe, Füchse, Glücksschwein Susi
Tierische Besucher schauen oft vorbei in Lummerland. Mehrere Elstern hatten bei Gitana und Gerd sogar Namen – auf die sie wohlgemerkt hörten. Frech waren die, erinnern sie sich, haben gerne Kaffeelöffel und anderes Zeug geklaut, sind in die Häuser geflogen und haben versucht, Gitanas Tanz-Frauen in die rot lackierten Fußnägel zu picken. Manchmal finden Gitana und Gerd auch hilfsbedürftige Tiere, dann nehmen sie sich ihrer an. Vögel und Eichhörnchen haben sie schon großgezogen oder gesund gepflegt, außerdem ein Wildschwein kuriert: Eines Morgens saß ein kleines Wildschwein-Mädchen ziemlich mitgenommen und mit einem gekrümmten Fuß im Garten – ein Glück für es, dass es hier gelandet war. Das Paar nahm es auf, taufte es Susi, richtete einen kleinen Stall her und versorgte es medizinisch, unter anderem mit Spritzen und einer Beinschiene. „Susi hat ziemlich streng gerochen und jeden Morgen ein Kilo Nudeln vertilgt“, erinnert sich Gitana lachend. „Aber sie war sehr süß und hatte unfassbar lange Wimpern.“ Das Paar achtete stets darauf, Susi nicht zu sehr an den Menschen zu gewöhnen. Nach ein paar Monaten dann kam der Tag, an dem ihr Bein wieder heil war und es ihr richtig gut ging. Nun durfte sie hinaus in den Wald rennen. „Wenn einzelne Wildschweine auf ein Rudel treffen, werden sie normalerweise aufgenommen, von daher war das gut möglich.“
Stärker noch als am Tag merken Gitana und Gerd nachts, dass sie nicht „normal“ wohnen. Stockdunkel ist es dann, die nächsten Straßenlaternen sind zu weit weg als dass man von ihnen etwas merken würde. Und von der nächtlichen Stille eines Dorfes fehlt hier jede Spur: „Der Wald lebt“, sagen sie. In der Dämmerung erklingt der Zwitscherchor der Vögel, in der Dunkelheit raschelt und knackt es überall, schreien Rehböcke, bellen Füchse, singen Nachtigallen. Die Tiere schaffen es auch offenbar recht problemlos in das eingezäunte Lummerland hinein. „Der Fuchs schaut jede Nacht hier vorbei“, sagt Gerd. Absolute Dunkelheit und überall Geräusche – hat man da nicht manchmal ein wenig Angst, so zu zweit im Wald? Von beiden nur ein Schulterzucken: „Nö, noch nie.“ Rausgehen solle man nachts trotzdem nur mit Taschenlampe, vor allem im Frühling – dann verläuft die Krötenwanderung quer durch den Garten.
Wohnen im Lummerland scheint wie Dauerurlaub zu sein – betritt man die beiden Häuschen verstärkt sich der Eindruck noch. Wie zwei gemütliche Ferienappartements wirken sie. Dabei ist „La baraque“ weit entfernt von einer Baracke, glänzt vielmehr mit einem äußerst stimmigen Ethno-Schick. Naturmaterialien, Flohmarktstücke und leuchtende Farben bestimmen die Optik, vieles hier ist selbstgemacht und alles hat seine Bedeutung, wie Gerd erklärt. So stellt ein Feld auf der selbst bemalten Haustür mit einer Art spiralförmig gewundener Schlange Lummerland dar. „Es ist so etwas wie ein Logo.“- „Le château“ hingegen versprüht mediterranen bis orientalischen Flair. Viele der Möbelstücke hat Gitana auf Tanzreisen in Tunesien, Marokko, Jordanien, Syrien und der Türkei entdeckt und mitgebracht, die zahlreichen Skulpturen und Bilder wurden ihr meist von Tanzschülerinnen geschenkt. Dass diese immer wieder gerne vorbeikommen, verwundert nicht – wer würde nicht gerne in Lummerland tanzen.
Dies ist ein Beitrag aus unserer Ausgabe 3-2018. Mehr Interessantes aus unserer Region gibt es in weiteren Ausgaben – als Einzelhefte oder Abo erhältlich. Jetzt in unserem Shop stöbern!